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These 13 zur Resistenz lebendiger Erfahrung gegenüber Standardisierung

Gestützt auf die innere Gewissheit, die auf dem authentischen Bezug zu eigener Erfahrung gründet, gelingt auch eine eigenständige Problemlösung zu Herausforderungen der (äußeren) Welt. Dazu gehören auch bereits vergegenständlichte (zur ‚Sache‘ gewordene) Ausdrucksgestalten vorangegangener Lebenspraxis. Der authentische, praktische Zugang zu sich und der Welt kann zur Resistenz gegenüber vorgefertigten Lösungen befähigen.

Insofern also Ausdrucksgestalten einer Lebenspraxis in einem authentischen und gültigen Verhältnis zu jener Praxis stehen, die sie hervorgebracht, also hinterlassen hat, kann man anhand ihrer Rekonstruktion Einblicke in die ursächliche Praxis gewinnen, wodurch neue Problemlösungen zugänglich werden. Oevermann baut diesen Denkansatz zu einem „allgemeingültigen Modell von lebenspraktischer Authentizität und Sachhaltigkeit“ aus:

4. Schließlich artikuliert sich in der Grundrelation der Authentizität von Ausdrucksgestalt und Lebenspraxis ein über das künstlerische Handeln hinausgehendes, allgemeingültiges Modell von lebenspraktischer Authentizität und Sachhaltigkeit, an dem sich allgemein das für die Moderne zentrale Verhältnis von Resistenz der autonomen Lebenspraxis und formaler Rationalität, von lebendiger Erfahrung im Sinne Adornos und standardisierter Produktion und Problemlösung ablesen läßt (Oevermann 1996, S. vi).

An diesem Modell ließe sich nun „allgemein“ das für die „Moderne zentrale Verhältnis von Resistenz der autonomen Lebenspraxis [gegenüber] formaler Rationalität“ sowie „von lebendiger Erfahrung [gegenüber] standardisierter Produktion bzw. Problemlösung ablesen“. In anderen Worten: Gestützt auf die eigene („authentische“) Erfahrung gelangt ein Subjekt auch zu einer authentischen eignen Sichtweise auf sachliche Problemstellungen und was von diesen zu halten ist, also auf die ‚Sachhaltigkeit‘ von Problemen. Dadurch, also durch die autonome Positionierung, wird das Subjekt gegenüber „standardisierter Produktion und Problemlösung“ – ‚Halbbildung‘ nach Adorno – „resistent“.

Allerdings muss dazu das Subjekt den Dingen und deren Sachhaltigkeit tatsächlich auf den Grund gehen und den Problemen die Lösungen „ablesen“ (oder Scheinlösungen als solche erkennen und durch eine neue Praxis ersetzen), dann kann es sogar gelingen, einen „Selbstheilungsprozess“ als „Selbstreflexionsprozess“ in Gang zu setzen:

Zur außerkünstlerischen Alltagspraxis hin ist daran ganz allgemein das Selbstheilungspotential ersichtlich, das generell Ausdrucksgestalten als Verkörperung von Pathologien und Beschädigungen einer Lebenspraxis für einen Selbstreflexionsprozess innewohnt (Oevermann 1996, S. vi).