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(Tief-)schwarze Linien und Darstellungselemente auf Rot: Suggestion?

(Davor: Die rätselhaft ‚umspielte‘ Mitte)


Mit besonderer Intensität treten tiefschwarze Linien und Flächen auf diesem roten Blatt hervor. Sie lassen sich wie folgt untergliedern:

Das Reittier und die Reiterin

Rechts der Mitte ist ein Pferd mit großem Schweif, geraden Beinen, langem Hals und schmalem Kopf flächig schwarz ausgeführt. Die allgemeinere Bezeichnung Reittier wäre vermutlich genauso zutreffend. Allerdings erscheint sie etwas umständlich, daher wird sie hier meist vermieden.

Auf dem Tier sitzt eine Reiterin mit schwarzen Maschen an den gebündelten schwarzen Haaren (oder Zöpfen) und schwarzen Beinen bzw. Hosen. Vor allem durch die schwarzen Beinkleider wirkt die Reiterin sehr verbunden mit dem Reittier, außerdem scheint sie ‚tief‘ im (schwarzen) Sattel bzw. Pferderücken zu sitzen.

Farblich betrachtet ist die Reiterin allerdings eine Synthese mehrerer Farben, denn sowohl der Kopf als auch der Oberkörper sind nicht in Schwarz, sondern in anderen Farben ausgeführt (Grau: die Kontur von Kopf und Hals; Rotbraun: die Kleidung des Oberkörpers – und vielleicht Gelb: kaum sichtbare, offene Haare). Die Bedeutsamkeit der Reiterin ergibt sich sodann aus vielen Faktoren und Relationen, einige kommen im folgenden Kapitel 2.3.10, die Szene der Dreiergruppe, zur Anschauung und Sprache.

Das Reittier oder Pferd wird an einer langen schwarzen Leine (Longe) geführt, die an beiden Enden so gebogen ist, dass damit eine Kreisbewegung des Pferdes angedeutet wird.

Die Person am rechten Rand

Gerade noch innerhalb des Blattes, am rechten Rand ist eine Person, die Großteils – aber nicht zur Gänze – in Schwarz ausgeführt ist, gezeichnet. Ich bin versucht, sie als Reitlehrerin oder Pferdeführerin zu bezeichnen (es könnte sich auch um eine männliche Person handeln). Ich weise aber gleichzeitig darauf hin, dass diese Person, sowie ihre Positionierung am Rand des Blattes, aber auch ihre Gestik (ihr Blick und ihre nur am Effekt der Leine erkennbare Armbewegung) manche Rätsel im Hinblick auf die gesamte – ins Bild gesetzte Szene – und ihre Darstellungsweise aufzuwerfen scheinen: Denn auch die Reitlehrerin könnte im Zentrum eines Longier-Kreises beim Reitunterricht zur Darstellung gelangen. Im Bild jedoch ist sie an den äußersten rechten Rand gezeichnet. Dass also das Reittier samt Reiterin (beinahe) ins Zentrum gerückt ist, dürfte ein Teil bzw. ein Mittel der Suggestion dieses Bildes sein. Weiters zählen zur Suggestion des Bildes: der leere rote Raum, die Blicke der Reiterin und der Reitlehrerin aus dem Bild heraus und schließlich auch der kräftig ausgeführte Name Erna.

Schwarz im Kontrast zu Rot

Die (tief-)schwarzen bzw. sehr dunklen Bildelemente, die aus dem Rot des Blattes kontrastreich hervortreten, sind (wie weiter oben bereits erwähnt) noch durch den links oben platzierten Namen ERNA zu ergänzen. Er wirkt sehr prominent, (denn) er ist in dicken Lettern geschrieben, und es ist viel leere (rote) Fläche um ihn herum. Überdies, und das erheischt seine neuerliche Erwähnung, bildet er gleichsam das Gegengewicht zur Dreiergruppe, gebildet aus Pferd, Reiterin und Pferdeführerin. Die Dreiergruppe ist überwiegend in schwarzer Farbe ausgeführt.

Bemerkenswert ist die Ausrichtung des Schriftzugs ERNA: die gedachte Zeile weist leicht ansteigend nach rechts oben. Diese (ansteigende) Ausrichtung wiederholt und steigert sich in der vielfältigen Gestalt des Pferdes: Die Ausrichtung, die vom Schweif über die Hinterbeine zu den Vorder-beinen führt, ist leicht ansteigend. Eine Steigerung der Aufwärtsbewegung zeigt ein ausschreitendes Vorderbein. Eine weitere deutliche (stolze oder majestätische) Steigerung zeigt sich sodann in der aufstrebenden senkrechten Achse, die vom anderen Vorderbein zum langgestreckten Hals und schließlich zum Kopf des Pferdes führt.

Nur das Pferd ist zur Gänze in Schwarz (groß-)flächig angemalt. Doch auch die schwarzen Linien (die Leine, die Zöpfe) oder Punkte (die Augen) sind von großer Wirkung auf dem roten Untergrund.

Die Qualität von Farbe

Die (tief-)schwarzen Darstellungselemente verbinde ich mit Suggestion, denn sie treten aus dem an sich schon dominanten Rot des Blattes – im Unterschied zu Strichen und Flächen, die vom Rot fast verschluckt werden – mit besonderer Intensität hervor. An dieser Stelle möchte ich, wenn auch sehr knapp, auf die Qualität von Farbe, die im Grunde vielen Lebewesen ‚auffällt’, mit einem Zitat aus einer Studie zur Konstitution von ästhetischer Erfahrung hinweisen:

Die Farbe stellt also eine Qualität dar, die gewissermaßen ins Auge springt und von den sichtbaren Gegenständen einen deutlichen Eindruck auch in der Erinnerung hinterläßt. Dazu gehört, daß diese Qualität als solche nicht subjektiv, sondern für alle Subjekte von Erfahrung vergleichbar objektiv gegeben ist, sich aber in ihrer Unmittelbarkeit der Subjektivität krisenhaft aufdrängt (Oevermann 2000a, S. 443).


(Weiter zu: Die Szene der Dreiergruppe – Eine Einheit mit großen Unterschieden)