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RESÜMEE – Postulat zur entdeckten Fallstruktur

(Davor: Selbstbewusste Reflexion als offener ‚Auftrag‘ an dieser Schule)


In der Langfassung der Studie wird dieses Resümee durch das Kapitel 4.11.1: Prozessreflexion der Suche nach der Fallstruktur, eingeleitet. Hier geht es gleich weiter zum sogenannten finalen Postulat.

Finales POSTULAT: Die Fallstruktur einer autonom ‚etablierten’ Schülerin

In Blatt 18.10.2013: ‚Land Des Rechnens‘, konnte – sowohl in kontextfreier Rekonstruktion im Fokus der drei Forschungsfragen (siehe die entsprechende Argumentation weiter unten) als auch bei kumulativer Berücksichtigung der Analysen weiterer Blätter – die Struktur einer autonom ‚etablierten’ Schülerin herausgearbeitet werden:

(A) Übereinstimmung mit den Kontextinformationen der Schulleiterin Maria T.

  1. Erna „von alleine weitergekommen“ ist und
  2. es „nur eine Zeit lang gedauert [hat], bis das von ihr gekommen ist“.
  3. Und Erna dann sagen kann: „ich kenne mich aus […] ich liebe Rechnen“ (Clip4, Audio-Transkript, Abs. 3).

(B) Zur Erklärung der Struktur einer autonom ‚etablierten’ Schülerin und der Wirkweise dieser (entdeckten) Struktur ist anzuführen:

  1. Erna,die Autorin von Blatt 18.10.2013: ‚Land Des Rechnens‘,hat in der Haltung einer dialogisch kooperativen Proponentin die dialogische Einladung ihrer Lehrperson, ein Reflexionsblatt zu verfassen, offensichtlich angenommen. Diese ‚Einladung‘ zur fachlichen und persönlichen Reflexion ist auch in das entstandene und von Erna signierte Blatt als Überschrift und Zeichen der Bereitschaft, diesen offenen ‚Auftrag‘ zu erfüllen, in das Reflexionsblatt integriert.
  2. Dieses Reflexionsblatt zeigt eine prägnante, kooperative, schwungvolle, eigenständige– den Rechenregeln entsprechende – Demonstration ihres fachlichen Könnens vonZiffern, Zahlen sowie Plus- und Minusrechnungen samt Zehnerüberschreitungen im Raum ganzer Zahlen bis 1000.
  3. Die gesamte Ausführung des ‚Reflexionsblattes‘ bringt authentisch zum Ausdruck, dass Erna sowohl ihre fachliche Kompetenz als auch ihre grundlegende Kompetenz zu dialogischer Kooperation und Entwicklung zur Performanz gebracht hat.
  4. Dabei hat sie viele eigenständige (echte) Entscheidungen (in ihre offene Zukunft) bewusst getroffen und autonom verantwortet.

(C) Die Antworten zu den drei aufeinander bezogenen Forschungsfragen schufen die Basis für die Entdeckung, Ausformulierung und Erklärung der Fallstruktur:

  1. Die Forschungsfrage 1, sie fokussiert möglichst offen auf (a) werkimmanente Prägnanz und (b) Autonomie, ist bezüglich (1a) werkimmanenter Prägnanz beantwortet durch die Demonstration vonZiffern, Zahlen sowie Plus- und Minusrechnungen samt Zehnerüberschreitungen, was der Anforderung im Unterrichtsgegenstand Mathematik (zweite Schulstufe) im Zahlenraum bis Hundert entspricht. Bezüglich (1b) Autonomieist die bewusst verantwortete und signierte Gestaltung des gesamten Blattes als Antwort zu nennen.
  2. Die Forschungsfrage 2 dient der Prüfung der Prämisse einer grundlegenden Kompetenz aus vorgängiger Sozialisation, mittels der Kinder ab den ersten Schultagen (bei entsprechenden Rahmenbedingungen) Werke von authentischer, reflexiver und selbstreflexiver Ausdruckskraft produzieren können, was Autonomie sowohl zur Bedingung als auch zur Folge hat. Als Antwort siehe oben den Punkt (B): Erklärung der Struktur einer autonom ‚etablierten’ Schülerin. Dort wird die Haltung einer dialogisch kooperativen Proponentinaufgezeigt, mit der Erna den paradoxen ‚Auftrag‘ zu selbständiger Reflexion als ‚Einladung‘ annimmt. Auf diese innere Haltung und Disposition Ernas kann zwar nur methodisch und krisentheoretisch geschlossen werden. Allerdings ist diese ‚Erschließung‘ (zum Begriff siehe: Übergang zu vertiefender Analyse sowie Kapitel 4.1) stringent sowohl am hier im Vordergrund stehenden Blatt 18.10.2013: ‚Land Des Rechnens‘,aufgezeigt, als auch im Entwicklungsverlauf kumulativ belegt.
  3. Die Forschungsfrage 3 fokussiert auf eine Bewährungsaufgabe, der sich ein Kind spätestens mit seinem Schuleintritt stellen muss, um die Diskrepanz zwischen zwei weitgehend konträren (bzw. konträr erlebten) Verständnissen von Kompetenz in seiner Lebenspraxis in ein fruchtbares Verhältnis zu bringen. Und zwar: einerseits Zutrauen auf die autonome Entfaltung einer grundlegenden Kompetenz. Zutrauen, das auf „diffusen Sozialbeziehungen“ in familiärer Sozialisation beruht. Andererseits „rollenförmige“ Erwartungen (vgl. Oevermann 2014a), die zu formal anerkannter Kompetenz führen. Diese Frage (bzw. dieser Widerspruch) ist durch die eigenständige Reflexion in Blatt 18.10.2013: ‚Land Des Rechnens‘, eindrucksvoll beantwortet.
  4. Kumulativ, also nicht nur in Bezug auf jene Ausführungen, die auf der Rekonstruktion von Blatt 18.10.2013: ‚Land Des Rechnens‘, beruhen, sondern auch in Bezug auf weitere in der Studie bereits untersuchte Blätter (siehe insbesondere die Resümees zu Analysen der einzelnen Blätter), wird somit die Fallstruktur einer autonom ‚etablierten’ Schülerin bekräftigt – und als Lösung des Falles postuliert. Erna hat also autonom eine dialogisch kooperative Haltung bzw. Struktur entwickelt, mit der sie den formalen, rollenförmigen Anforderungen des Schulwesens, einschließlich der paradoxen Aufforderung selbständig, kritisch und reflexiv zu sein, autonom begegnet.
  5. Begünstigt wird Ernas Haltung allerdings dadurch, dass an Ernas Schule eine dialogisch kooperative Haltung, insbesondere durch die Schulleiterin Maria T., praktiziert wurde, was Erna anscheinend Halt im Schulgeschehen gegeben hat.

(D) Dieses Postulat enthält auch Relativierungen seiner im Grunde weitreichenden Aussagen:

  1. Die Bildungsdomäne Rechnen; sie ist ‚nur‘ ein Teil im Ganzen des Bildungskanons. Diese Relativierung wird vor allem durch die folgende Ausweitung der Studie auf andere Bildungsdomänen, insbesondere die Schriftsprache, gelöst.
  2. Den in der Signatur des Blattes ausgewiesenen Zeitpunkt (18.10.2013); er liegt in der fünften Woche des zweiten Schuljahres. Auch die zeitliche Reichweite der Datenbasis wird im folgenden Kapitel vergrößert.
  3. Das spezifische Setting an dieser Schule; beim vorliegenden Setting handelt es sich vermutlich um einen ‚seltenen Fund‘ (vgl. Kapitel 1.3) und eine brach liegende Ressource sowie eine prekäre pädagogische Initiative (Kapitel 1.10.1 und 1.10.3) von unterschätzter Relevanz (Kapitel 1.10.4). Dieser Fund ist durch diese Studie gesichert.