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Herleitung der Prinzipien der objektiv hermeneutischen Bildanalyse

Zur theoretischen und methodischen Vertiefung der Gedankengänge und Anschauungen zu Rahmen und Bild möchte ich nun auf „Prinzipien objektiv hermeneutischer Bildanalyse“ (vgl. Oevermann 2014, S. 69-73) so eingehen, dass schließlich neun Argumente derart hervortreten, dass sie zu einer methodischen Anleitung werden können. Die Argumente werden auch zu einem Bild – im Verständnis dieser Bildhermeneutik – aufbereitet (siehe Abb. 9).

Abbildung 9: Bildhermeneutik – Neun Argumente zu Bild und Rahmen

Die Argumente werden nun jeweils in Dreier-Gruppen zusammengefasst besprochen:

Die Argumente 1, 2 und 3: Der Rahmen konstituiert das Bild

Die Argumente 1, 2 und 3 werden sogleich auf die hier vorliegende Abbildung 9 und deren Rahmen angewandt: Wenn man die beiden äußeren abgrenzenden Linien betrachtet, so grenzen diese die Abbildung von allem Drumherum des jeweiligen Blattes oder auch des Bildschirms ab (Argument 1). Gemeinsam mit dieser äußeren Abgrenzung bildet das innere große Rechteck den (aus zwei parallelen Linien bestehenden) Rahmen (Argument 2), der überdies eine Überschrift „Der Rahmen als Ableitungsbasis für erste Schritte der Bildanalyse“ (Oevermann 2014) birgt. Durch diesen klar erkennbaren Rahmen, der schlicht nur aus Linien (sowie einer Überschrift im oben breiteren Teil des Rahmens) gebildet ist, also nicht auch noch durch Einfärbung oder Muster hervorgehoben ist (was auch möglich wäre), „wird alles, was in diesen Rahmen gegenständlich passt, automatisch zum Bild“ (Argument 3).

Die Argumente 4, 5 und 6: Mitte und Peripherie

Auch die Argumente 4, 5 und 6 werden auf die vorliegende Abbildung 9 angewandt: In Argument 4 erfolgt zunächst eine pointierte begriffliche Zusammenfassung der ersten drei Argumente, wonach „damit eine ganz einfache Bestimmung des epistemischen Charakters eines Bildes“ (Argument 4) vorliege, die laut Argument 6 in folgendem Zusammenhang bestehe: „Wenn nämlich der Rahmen und der Rand für die Bestimmung einer Bildfläche zentral sind, dann folgt daraus zugleich die Differenz von Mitte und Peripherie“ (Argument 6). Daraus ergäben sich „erste, einfache Schritte der Bildanalyse“ (Argument 5).

Die Argumente 7, 8 und 9: Die Mitte dominiert

Nachdem nun die Argumentation zur konstitutions- und strukturtheoretischen „ganz einfachen Bestimmung des epistemischen Charakters eines Bildes“ abgeschlossen ist, erfolgen nun die Ableitungen zur Komposition (Argument 7), zur Bildmitte (Argument 8) und zur Prägnanz-Bildung sowie zur inneren Strukturierung von Bildern (Argument 9), die zu „ersten einfachen [methodischen] Schritten der Bildanalyse“ führen: Dabei wird die herausgearbeitete „Polarität“ von „Mitte und Peripherie“ wichtig, denn „Entlang dieser Polarität hat sich die Komposition eines Bildes, die Verteilung von sinntragenden Darstellungselementen zu vollziehen“ (Argument 7). Während die Konstitution eines Bildes von dieser Strukturlogik vorangetrieben wird, geht die Rekonstruktionslogik gleichsam vom Fertigen zum Ursprung zurück. Die darauf gerichtete methodische Aktivität wird als Suchen bezeichnet: „Die wichtigsten, dominanten Elemente suchen wir in der Mitte, die ganz unwichtigen an der Peripherie“ (Argument 8). Mit „wir“ müsste hier jedermann, also nicht nur methodisch besonders geschulte Personen, bezeichnet sein, so erklärt sich auch die weiter oben getroffene Feststellung, wonach sowohl der epistemische Charakter eines Bildes auf einfache (elementare) Weise bestimmt sei, als auch die daraus abgeleiteten ersten methodischen Schritte einfach seien. So betont auch Argument 9, dass sich die Prägnanz-Bildung sowie die innere Strukturierung von Bildern problemlos entwickeln bzw. erkennen lassen.

Wir können Bilder intuitiv deuten

Auf diese Einfachheit hatte Oevermann im zitierten Artikel sowohl einleitend als auch in einer resümierenden Metabetrachtung hingewiesen. In Letzterer betont er, dass „wir sie [die Bildepistemik] wie selbstverständlich als das sofort erkennen und einordnen“, was Bilder ausmacht bzw. epistemisch markiert (ebd. S. 72). Natürlich wird das nicht ‚jedermann‘ so ausdrücken. Außerdem ist es oft besonders anspruchsvoll, das Selbstverständliche explizit auszuformulieren. Allerdings geht es hier ‚nur‘ um die weitreichende Feststellung, dass jedermann „durch ein sprachlich konstituiertes Bewusstsein das objektiv nur in seiner sinnlichen Präsenz vorliegende Bild in einen impliziten Sprechakt überführt, in dem der Bildinhalt zum propositionalen Akt wird“ (ebd.). Das entspricht der allgemeinsprachlichen Aussage, wonach ein Bild etwas ‚sagt‘, auch wenn es sich solange um eine implizite Aussage handelt, bis sie (das Bild interpretierend) explizit ausgesprochen wird.

Die Ableitung methodischer Schritte zur Deutung von Bildern aus konstitutions- und strukturtheoretischen Überlegungen wurde nun in Form eines neun Argumente umfassenden Grafikbildes vorgelegt und besprochen. Dadurch konnten die epistemischen, bedeutungsgenerierenden Eigenarten von Bildern sogleich konkret mit den zur Verfügung gestellten methodischen Mitteln an der Abbildung 9 herausgearbeitet werden.


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