(Davor: Ebene 3: Reziproke Sozialität und ihre Bindungskraft – Universeller Diskurs)
Im hier dargelegten soziologischen Kontext weist die Formulierung „immer schon vorgängige Sozialität“ auf einen sozialen Prozess, der anhand entsprechender Manifestationen empirisch erforscht werden kann.
Manifestationen „objektiv bindender Sittlichkeit“ …
Dies gilt demnach (der Methodologie der Objektiven Hermeneutik folgend) auch für Manifestationen „objektiv bindender Sittlichkeit“, etwa auch für Kinder in einer Lebensphase, in der sie noch keine Verträge abschließen können. Daher sind gerade ‚frühe‘ Werke von Kindern, die also aus einer Lebensphase stammen, in der sie die Schriftsprache (die Sprache in der Verträge verfasst sind) noch kaum beherrschen, wissenschaftlich wie auch bildungspraktisch von großem Interesse. So zeugen alle in dieser Studie als ‚frühe‘ Werke bezeichneten Arbeiten der Schulanfängerin Erna davon, dass sie sich völlig selbstverständlich als sozial eingebettetes (und vermutlich auch von ihrem Sozialverband hervorgebrachtes) Wesen versteht. In diesem – soziologischen – Feld ist die Selbstverortung der Studie zu sehen. In den Thesen 1 bis 15 ist diese Sichtweise präzisiert (siehe Kapitel 1.10 und 1.11).
… werden empirisch zugänglich
Das methodische Versprechen der Objektiven Hermeneutikist in diesem Zusammenhang, dass der Entstehungsprozess des Sozialen bzw. der Sozialität, also der ‚uns‘ als soziale Wesen vorausgehende („vorgängige“) Sozialisationsprozess empirisch zugänglich ist. Dieser Aspekt des ‚uns Vorgängigen‘ wäre also nicht mehr oder nicht nur – wie es vielleicht im Gebrauch der Umgangssprache oder ‚Bildungssprache‘ nahe gelegt erscheint – auf religiöse, philosophische oder metaphysische ‚letzte‘ Ursachen bezogen, sondern könne anhand entsprechender Manifestationen in einer methodisch nachvollziehbaren Rekonstruktion erschlossen werden. Somit gilt auch der folgende weitreichende konstitutionstheoretische Satz als der empirischen Rekonstruktion zugänglich:
Ganze Menschen bzw. Subjekte in ihrer Autonomiefähigkeit und Totalität werden in der vorgängigen Sozialität der sozialisatorischen Praxis, bestehend aus Beziehungen zwischen ganzen Menschen, sozial konstituiert (Oevermann 2009, S. 53).
Dass dieser soziale Konstitutionsprozess – gerade in jungen Jahren – von vielen Krisen (verstanden als Scheitern oder Fehlen von Routinen) gesäumt ist, Krisen in deren Bewältigung das Subjekt seine Autonomie erst erlangt, wird mit einem Verweis auf die entsprechenden Kapitel hier noch einmal unterstrichen (siehe insbesondere die Kapitel 1.8 und 2.2.4 sowie 6.8).
Dieser Exkurs 3 wird nun mit Ausführungen zu einem weiteren Theoriekomplex, der die referierte Drei-Ebenen-Architektur der sozialen Konstitution des Subjekts aufgreift, abgeschlossen.
(Weiter zu: Drei ‚Funktionsfoci‘ der ‚revidierten Professionalisierungstheorie‘)