Vorbemerkungen
In der hier sukzessive aufbereiteten Studie tragen die drei Forschungsfragen maßgeblich zur Fokussierung bei. Sie bilden gleichsam den roten Faden im unglaublich vielschichtigen Feld, das mit den weiten Begriffen Lebenspraxis, Schulpädagogik, Bildungswissenschaft sowie Verarbeitung von Erfahrung umschrieben werden kann. Bei einer Wortsuche („Forschungsfrage“) durch die gesamte Studie wird dieser Suchbegriff 10 Mal im umfangreichen Inhalts- und Abbildungsverzeichnis sowie weitere 125 Mal im sonstigen 363 Seiten umfassenden Text angezeigt. Somit kann man sagen: dieser rote Faden schlängelt sich deutlich sichtbar durch die Studie. Im Folgenden wird das Kapitel 1.3: Drei Forschungsfragen – Allgemeines an einem seltenen Fund ungekürzt, aber um Subüberschriften angereichert, wiedergegeben.
Zweck
Durch die Vielschichtigkeit des Falles mit seinen vielen Details sollen die Forschungsfragen einen Weg weisen. Zu diesem Zweck werden die Forschungsfragen in zwei grafischen Aufbereitungen präsentiert (siehe die folgende Abbildung).

In der linken Spalte sind die etwas sperrigen Langformen der Forschungsfragen abgebildet, und in der rechten Spalte ist eine Kurzfassung der jeweiligen Forschungsfrage plakativ aufbereitet. Die plakativen Wortgruppen werden nun (immer noch kurz gefasst) in Sätzen ausformuliert:
Mit der Forschungsfrage 1 wird nach (1a) werkimmanenter Prägnanz Ausschau gehalten und sodann weitergefragt, inwiefern (1b) Autonomie daran beteiligt ist.
Mit der Forschungsfrage 2 wird sodann die Prämisse hinterfragt, wonach Kinder aus vorgängiger Sozialisation grundlegende Kompetenzen in die Schule bereits mitbringen, sodass sie, bei einem entsprechenden schulischen Rahmen, Werke von authentischer Ausdruckskraft produzieren können, was Autonomie sowohl zur Bedingung als auch zur Folge habe. Kurz gefasst: Wird grundlegende Lösungs- und Werkkompetenz bereits in die Schule mitgebracht? Und wird sie dort geschätzt?
Mit der Forschungsfrage 3 wird schließlich ein Zwischenergebnis der Studie aufgegriffen, das besagt, ein Schulkind müsse mit weitgehend konträren Verständnissen von Kompetenz zurechtkommen, nämlich einerseits einem diffus-offenen, in familiärer Sozialisation entstandenen, zu grundlegender Kompetenz beitragenden, und andererseits einem rollenförmigen, staatlicher Standardisierung unterworfenen, das zu formal anerkannter Kompetenz führe. Die kurze Fragestellung lautet dann: Bewährung im Spannungsfeld konträrer Kompetenzverständnisse?
Schrittweise Fokussierung
Nun werden die drei Forschungsfragen genauer betrachtet, und zwar hinsichtlich ihrer Aufgabenstellungen bzw. der Funktionen, die sie im Rahmen der Studie erfüllen:
Der Forschungsfrage 1 kommt die Aufgabe einer ersten Fokussierung der Studie zu: Die Studie fokussiert auf die Prägnanz, die den Reflexionsblättern immanent ist und sucht dabei auch einen Zusammenhang zu Autonomie herzustellen.
Die Forschungsfrage 2 stellt die Prämisse zur Überprüfung, inwiefern bereits bei Schulanfänger*innen von einer Fähigkeit, autonome Werke zu erstellen, auszugehen sei.
Mit der Forschungsfrage 3 wird ein Zwischenergebnis der Studie überprüft, das sich im Fortschritt der Studie abgezeichnet hat: Demnach muss sich ein Schulkind zwischen weitgehend konträren Kompetenzverständnissen bewähren, einerseits einem familiären, diffusen, grundlegend offenen, andererseits einem schulischen, formalen, standardisierten, das tendenziell die Autonomie der Schulkinder und deren Eltern, sowie auch der Lehrer*innen leugnet. Angelehnt an eine Formulierung Adornos würde demnach Schule (tendenziell) „Halbbildung“ vermitteln (siehe These 13 zur Resistenz lebendiger Erfahrung gegenüber Standardisierung in Kapitel 1.11.6).
Der Gegensatz der Kompetenzverständnisse ist hier gleichsam mit philosophischer Schärfe (und mit Bezug auf die Tradition der Kritischen Theorie) als ‚konträr‘ bezeichnet. Für die Handlungs- und Denkweise des Kindes (Erna) in der Schule erscheint es aber (mit dem Fortschritt der Studie zunehmend) faktisch angemessener von einem Sowohl-als-Auch zu sprechen. Im Resümee zu Kapitel 4 wird sodann in der Überschrift von einem autonomen Blatt einer ‚etablierten‘ Schülerin gesprochen (Kapitel 4.11):
Hinweise auf Überraschungen im Forschungsprozess
Einerseits wird mit dieser Wendung nahegelegt, dass es zur ‚Normalität‘ der Herausforderungen eines ‚Kindes in der Schule‘ gehört, sich mit der ‚Rolle‘ einer Schülerin nicht nur auseinanderzusetzen, sondern auch einen Weg zur Übernahme dieser Rolle (mit allem was dazugehört) zu finden – ohne sich darin zu verlieren, oder damit zu hadern. Wie Erna mit dieser Herausforderung zurechtkommt, ist dann eine empirische, im Einzelfall zu klärende Frage. Dies trifft auch auf die Frage zu, ob und inwiefern das pädagogische Konzept bzw. die Pädagog*innen an der Schule das Mädchen Erna auf ihrem Weg unterstützt haben. Professionalisierungstheoretisch wird die Frage der Unterstützung von Sich-Bildenden nur sehr allgemein, etwa in Exkurs 3 (Kapitel 2.5, insbesondere 2.5.6) angesprochen. Professionspraktisch hingegen bieten die Präsentation der ‚Kompetenzmappe‘ durch Ernas Schulleiterin Maria T., sowie die Haltung, die Maria T. bei der Erläuterung einzelner Reflexionsblätter zum Ausdruck bringt, einen entsprechenden Einblick in das dahinterstehende pädagogische Konzept, insbesondere zu ‚Reflexionsblättern‘ (Kapitel 3, insbesondere 3.6 bis 3.11).
Andererseits wird mit der Überschrift: RESÜMEE – Postulat zur entdeckten Fallstruktur (Kapitel 4.11), auf das Rekonstruktionsergebnis hingewiesen, das mit ‚Normalität‘ insofern sehr wenig zu tun haben dürfte, als die überaus offene pädagogische Praxis ‚Kompetenzmappe‘ und die zu untersuchenden ‚Reflexionsblätter‘ einen seltenen Einzelfall oder gar einzigartigen Fund darstellen dürften. Darauf deuten jedenfalls meine diesbezüglichen Recherchen am Rande der Studie hin. Die vorliegende Studie hat sich lediglich auf diesen einen Fall konzentriert (siehe auch Kapitel 5.4: CONCLUSIO).