Mit Ulrich Oevermanns theoretischer Begründung der Autonomie des Kunstwerks und des künstlerischen Schaffens (Oevermann 1996, S. v-xiv) ist gleichzeitig ein „allgemein gültiges Modell von lebenspraktischer Authentizität und Sachhaltigkeit“ (ebd. S. vi) grundgelegt, das in diesem Exposé im Überblick aufgegriffen und zu einem Strukturmodell von Bildungsprozessen weitergeführt wird.
Das Exposé wird sodann im Rahmen von EXKURS 1 in Form von weiteren sechs THESEN (Thesen 10 bis 15) ausgeführt und auch grafisch in Abbildung 7 dargestellt. Beim entstehenden Modell wird auf einen hohen Grad an Abstraktion geachtet, um eine vielseitige Nutzung zu begünstigen. Nun also der Überblick zum folgenden Exkurs und seinen Thesen:
Das Kunstwerk wirkt wie ein Vergrößerungsglas bei der Betrachtung von Konstitutions- und Transformationsprozessen von Erfahrung, insbesondere bei den Transformationen von Sachvorstellungen in Symbolvorstellungen sowie jenen von unartikulierter Roherfahrung in interpretierte Erfahrung (These 10).
Autonomie wird dabei Bedingung und Grundlage für die eigenständige Weltwahrnehmung, und, darauf aufbauend, für die „konsistente Konstruktion“ einer fiktionalen Innenwelt (These 11).
Authentizität zeigt sich als Relation von Ausdrucksgestalt bzw. (Kunst-)Werk und jeweils davorliegender Lebenspraxis und deren Gültigkeit und ‚Wahrheit‘ (These 12).
Autonomie wird zum Kriterium für die Bewährung an Herausforderungen der Moderne, in der immer mehr ‚vorgefertigte‘ Lösungen offeriert werden, an denen sich das Individuum ‚sich individualisierend‘ bedienen soll. Hier wird Adornos Kritik an ‚Halbbildung‘ deutlich. Autonomie zeigt sich als Resistenz der Künstler*innen wie auch (allgemein) der Lebenspraxis und (spezifischer) im Bildungssektor gegenüber Standardisierung und vorgefertigter Problemlösung (These 13).
Die Rezeption des (Kunst-)Werks, wie auch anderer Ausdrucksgestalten von Lebenspraxis, ist dem Subjekt mit eigenen Bordmitteln und seiner lebendigen Erfahrung möglich. Hier schließt sich der Kreis zu den drei Modi des Fallverstehens (Kapitel 1.8), die auf der Strukturhomologie von Krisenerfahrungen und praktischen Krisenlösungen basieren (Kapitel 1.7). In der Erfahrung von Kunst und in der Reflexion eigener sowie (zunächst fremder) Ausdrucksgestalten von Lebenspraxis kann das Subjekt, indem es sich jenen Erfahrungen öffnet, diese in ihrer Authentizität und Eigenlogik erschließen (These 14).
Schließlich wird ein künstlerisches Strukturmodell für Bildungsprozesse ausgeformt (siehe Abbildung 7). Ob und inwiefern sich dieses theoretische Modell in der Praxis bewährt, wird in je konkreten Fallrekonstruktionsprozessen zu zeigen sein (These 15).