Fallrekonstruktion.net

Mehrdeutige Bilder und Posen – Eindeutige Das-ist-Benennungen

(Davor: Reflexive Darstellung von ‚Kooperation‘)


Mit der Rekonstruktion dieser Pose (zur Kooperation der vier Referentinnen) wurde die Regelhaftigkeit der latenten Sinnstruktur „deutliche Mehrdeutigkeit“ nachgewiesen, die darin besteht, dass hinter der Überhöhung der in Szene gesetzten Pose mehr steckt als nur das (auf den ersten Blick zu sehende) In-Szene-Gesetzte. Nämlich: Dass in diesem Moment vieles gleichzeitig zusammen gekommen ist.

  • Der ins Bild gebrachte Moment ist einerseits in der Synchronizität – und auch Mehrdeutigkeit – des Bildes gebannt oder erstarrt, und
  • andererseits ist der im Bild erstarrte Moment durch die vielseitige Referenzialität der Sprache transzendiert und in einem Prozess – zur genaueren Bestimmung – überschritten.

Letzteres geschieht vor allem durch die Schriftsprache des darüber stehenden Satzes sowie durch die Namen der Referentinnen wie auch die Bezeichnung des referierten (und gezeichneten) ‚Dromedas‘. Der Nachweis der Regelhaftigkeit sowohl der generierten Sinn- und Bedeutungsstrukturen in der Bildfläche als auch der Sinngenerierung durch die Verwendung von Schriftsprache legt die Konstitution der empfundenen und behaupteten – objektiv latent vorhandenen – deutlichen Mehrdeutigkeit offen, expliziert diese Strukturen also.

Was hier gerade strukturtheoretisch und epistemisch argumentiert wurde, ist intuitiv Kindern in manchen Spielen zugänglich. Im Kontrast zur Eindeutigkeit von Propositionen (vor allem in Form der Schriftsprache) steht die Mehrdeutigkeit von Bildern oder von anderen statischen Darstellungsweisen (etwa einer Statue oder einer bewegungslosen Pose). In einem beliebten Spiel wird dieser Kontrast zur zentralen Spielidee: Dabei geht es darum, anhand der Darstellung einer starren und stummen Pose einen bestimmten Begriff zu erraten. Dabei zeigt sich spielerisch, dass Posenmeist nichtan sprachlich herstellbare Eindeutigkeit herankommen, sondern wegen ihrer Mehrdeutigkeit zu (in diesem Spiel lustigen) Missverständnissen beitragen.

Struktureigenschaften von Schriftsprache in diesem Bild

Gerade wenn mehrere Personen gezeichnet werden, taucht die Frage auf, wer ist das? (Oder: Wer ist wer?) Der Verfasserin des Blattes könnte also gerade bewusst werden, dass sie etwas tun sollte, um Eindeutigkeit herzustellen. Vor allem dann, wenn niemand (mehr) bereit steht, diese Zeichnung zu erklären, ist das hilfreich. So könnte es zur im Blatt praktizierten Form der Beschriftung der vier Referentinnen gekommen sein. Um jegliche Unklarheit auszuschließen, wurde auch durch Pfeile eine Verbindung zwischen dem Namen und der bezeichneten Gestalt hergestellt. Im Sinne der Anwendung jener 12 Punkte, die im Exkurs 4 zu den Struktureigenschaften von Schriftsprache ausgeführtsind, können in diesem Reflexionsblatt einige dieser Punkte faktisch durch diese Form der Beschriftung der Referentinnen sowie weiterer Darstellungselemente des Bildes als vollzogen gelten. Ich hebe nun einige der in EXKURS 4 nummerierten Punkte hervor:

Die ansonsten übliche mündliche Bezeichnung von Personen ist im Blatt durch eine schriftliche Notation [1.] ersetzt. Dadurch ist Wirklichkeit protokolliert [5.]. So wurde das Wissen über die zutreffenden Namen unabhängig vom Hier und Jetzt der mündlichen Rede [7.]. Das einmal Gesagte oder gedachte kann kodifiziert [8.], also im vorliegenden Fall in einer Mappe gesammelt und später wieder betrachtet werden. Auch die Selbstreferenzialität von Schriftsprache [9.] und [10.] ist in Blatt 6.5.2013: ‚Dromeda‘, deutlich erkennbar. So kommt der Name Erna zweimal vor, einmal inmitten der Gruppe der vier Referentinnen und auch in der Signatur des Blattes. Dadurch wird deutlich, dass Erna selbst es ist, die das Blatt verfasst, sich als Teil der abgebildeten Gruppe der vier Referentinnen dargestellt sowie das offensichtlich referierte ‚Dromeda‘ gezeichnet, undschließlich den selbstbezüglichen Satz quer im oberen Teil des Blattes formuliert hat: „Ich Bin Stolz das die Presentazio[n] so toll war“. Nicht zu vergessen ist die Beschriftung der vier Referentinnen wie auch des Dromedars. Außerdem sind noch jene Struktureigenschaften von Schriftsprache zu erwähnen, die besagen, dass was verschriftlicht ist, auch objektiviert vorliegt, und so dauerhaft der Kritik zugänglich ist [11.]. Durch die aufgezeigten Struktureigenschaften von Sprache wird auch deutlich, inwiefern Sprache zu einer unglaublichen Kraft, Wirklichkeit zu erzeugen [12.], wird (vgl. EXKURS 4).

Halb gezeichnete, halb geschriebene Propositionen

In Abbildung 26 sind also halb gezeichnete, halb geschriebene Proposition zu sehen und buchstäblich zu lesen (was die jeweiligen Namen betrifft). Hier geht es um die ‚Schärfe‘ oder Eindeutigkeit einer Das-ist-Benennung, wie ich eine Proposition hier verdeutsche, um – sprachlich wie auch methodisch – möglichst nahe an die Darstellungsweise dieser Abbildung 26 heranzukommen. Dazu ist es instruktiv, eine Definition von Proposition, die in der Logik der Objektiven Hermeneutik verfasst ist, kennen zu lernen, danach werde ich wieder einen Bezug zum Bild bzw. Bildausschnitt (sowie zu weiteren Blättern) herstellen:

Propositionen sind ihrerseits elementare epistemische Gebilde, die aus drei konstitutiven Elementen bestehen: 1. dem Subjekt X der Proposition, auf das als noch nicht bestimmten Gegenstand referiert wird; 2. dem Prädikat p der Proposition, durch das begrifflich dieses X bestimmt wird und 3. der Kopula ‚ist‘, der finiten Form von ‚Sein‘, durch das die Bestimmung von X durch p logisch zwingend vollzogen wird (Oevermann 2014, S. 72).

Wendet man diese Definition und allgemeine Schreibweise nun auf die gezeichnete Gestalt links außen in Abbildung 26 an, dann kann man folgendermaßen eine Proposition bilden: Die näher zu bestimmende Gestalt („X“) ist – besser: heißt – Renate. In der Zeichnung steht zwar nicht „ist“ (und auch nicht „heißt“), dafür ist aber ein Pfeil gezeichnet, was zweifellos schlüssig oder „logisch zwingend“ zu verstehen ist. Eine derartige Proposition oder (durch Pfeile verdeutlichte) Das-ist-Benennung hat die Urheberin des Blattes 6.5.2013: ‚Dromeda‘ (Abb. 27), aus dem der Bildausschnitt (Abb. 26) stammt, für jede der gezeichneten Gestalten neuerlich durchgeführt. Die Namen sind, wie bereits mehrfach erwähnt, bei der Einrichtung des Forschungsprojekts durch Pseudonyme ersetzt worden, was aber am Vorgang der Benennung, und in der Folge auch der Überwindung jener Mehrdeutigkeit, die Bildern und Zeichnungen eigen ist, nichts ändert.

Am untersuchten Vorgang der Benennung von gezeichneten Personen ist bemerkenswert, dass es sich um halb gezeichnete und halb geschriebene Propositionen bzw. Das-ist-Benennungen handelt. Denn zum einen ist die Kopula ‚ist‘ durch einen Pfeil ersetzt bzw. vertreten, und zum zweiten ist die jeweils näher zu bestimmende, gezeichnete Gestalt „X“ sehr wohl bis zu einem gewissen Grad (nämlich durch ihre Körperstatur, Haarfarbe, Kleidung usw.) – aber eben nicht eindeutig – bestimmt.

Mit dieser Verwendung solcher Propositionen im ‚Reflexionsblatt‘ wird von den universellen Möglichkeiten von Schriftsprache Gebrauch gemacht. Dies gilt auch für jenen Fall, bei dem diese Propositionen noch in einer Mischung von bildlichen und sprachlichen Symbolen geäußert werden. Im Kontrast zur Eindeutigkeit von Propositionen (vor allem in Form der Schriftsprache) steht also die Mehrdeutigkeit von Bildern. Die Regeln, die einerseits bei Propositionen deren Eindeutigkeit bewirken und andererseits bei bildlich Dargestelltem eine weitergehende (sprachliche) Bezeichnung erforderlich machen (sofern Eindeutigkeit hergestellt werden soll), sind im Grunde meist also so einfach, dass sich daraus Spielideen und Spielregeln – die auch Kinder locker und intuitiv befolgen können – erfinden lassen. In anderen Blättern, die von Erna im Verlauf der nächsten Jahre erstellt wurden, sind die Pfeile zwischen dem Namen und der bezeichneten Gestalt größtenteils weggelassen. Es wird dort offensichtlich als schlüssig angesehen, dass der Name knapp über der dadurch eindeutig benannten Person steht (siehe im Bildanhang Abb. 35: Blatt 11.9.2013: Familie [2], sowie Abb. 44: Blatt 9.9.2014: Familie [3], und schließlich Abb. 47: Blatt 15.9.2015: Familie [4]; oder alle vier Blätter in Abbildung 49; der Bildanhang ist bis auf Weiteres nur in der Langfassung der Studie einzusehen. Diesbezüglich wird um Geduld gebeten.)


(Weiter zu: Posen deutlicher Mehrdeutigkeit säumen Ernas dokumentierten Bildungsweg)